Posthumanismus/Anthropozän

Donnerstag, 29.09.
11:00–12:30 Uhr

Panel, Hörsaal 2

Moderation: Wolf-Dieter Ernst
Diese Veranstaltung wird auch gestreamt:
https://www.cedis.fu-berlin.de/services/medien/av-medien/livestream/gtw_2
Franziska Trapp

(More than) Human? Inszenierungsstrategien im Zeitgenössischen Zirkus

The force of art is precisely that it is more than human. (Manning 2015:65)

In den letzten Jahrzehnten hat der non-human turn Einzug in die Geisteswissenschaften gehalten. Er wird „als neue[s] Paradigma abendländischen Denkens“ (Folkers 2013: 15) verhandelt und umfasst eine Vielzahl an Strömungen. Wirft man einen Blick auf die aktuelle Zirkusszene wird deutlich, dass dieses Umdenken keineswegs auf die akademische Welt beschränkt ist, sondern auch in (Interaktion mit) der künstlerischen Welt stattfindet – so auch in (Interaktion mit) der Welt des Zirkus. Was aber unterscheidet ein nicht-anthropozentrisches Stück von anthropozentrischen Aufführungen? Obwohl im Zirkus die Interaktion von menschlichen und nicht-menschlichen Handlungsträgern grundlegend ist, kann der Traditionelle Zirkus, der u.a. mithilfe einer babylonischen Programmstruktur, die die Elemente nach Schwierigkeitsgrad staffelt, und der Unterstreichung der Ästhetik des Risikos durch Trommelwirbel und das dreimalige Misslingen von Tricks die außergewöhnlichen, heroischen Fähigkeiten des Menschen propagiert, als Sinnbild für den Anthropozentrismus gesehen werden. Er stellt also geradezu den Gegenpol zum beschriebenen non-human turn dar. Im Zeitgenössischen Zirkus, der seit Ende der neunziger Jahre Einzug in die internationale Kunst- und Theaterlandschaft hält, sind wir in diesem Zusammenhang mit dem Paradox konfrontiert, dass die Beherrschung der Apparaturen die Voraussetzung ist, um eben jene Beherrschung zu problematisieren. Wenn wir also davon ausgehen, dass ein zeitgenössisches Zirkusstück als Stück des non-human turn klassifiziert werden kann, steht nicht die tatsächliche Veränderung der Relation von menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten im Vergleich zum Traditionellen Zirkus im Fokus, sondern vielmehr die Veränderung der Inszenierung dieser Relation, die die Rezipient*innen zu einem Perspektivwechsel einlädt. Strategien, die im Zeitgenössischen Zirkus genutzt werden, um das anthropozentrischen telos zu unterlaufen, sind u.a. der Einsatz von (Haus)Tieren, die Fokussierung nicht-menschlicher Performer/Objekte, die Nutzung der Natur als Aufführungsraum, der Einsatz einer spezifischen Bühnenarchitektur zur Kreation von immersiven Erlebnissen oder die Anthropomorphisierung nicht-menschlicher Entitäten. Der Beitrag versteht sich dabei als heuristisches Experiment: Wie verändert sich unser Blick und zu welchen neuen Resultaten gelangen wir bei der Analyse von Aufführungen, wenn wir von einer agency der Objekte und Apparaturen ausgehen?

 

Inga Bendukat und Eva Döhne

Unruhiges Denken in Ver-Wandlungen

„Diese Zeiten Anthropozän genannt, sind die Zeiten einer artenübergreifenden Dringlichkeit, die auch die Menschen umfasst.“ (Haraway: Unruhig Bleiben. Frankfurt a.M. 2018, S. 54) Eingebettet in eine Zeit, die von Naturkatastrophen, dem globalen Klimawandel, Kriegsverbrechen und damit einhergehenden Migrationsbewegungen und Hungersnöten geprägt ist, für die maßgeblich die Spezie Mensch und ihr Verständnis vom individuellen Subjekt sowie ihre egoistische, expansive und machtergreifende Lebensweise verantwortlich gemacht werden muss, sucht Haraway nach Praktiken des artenübergreifenden Miteinander-Werdens.
Wir möchten in unserem Vortrag darüber nachdenken, wie sich Haraways Denken in „riskanten Verbindungen“ mit Momenten der Verwandlung im Theater der Gegenwart verbinden lässt. Anhand von She She Pops Hexploitation, aber auch Swoosh Lieus Dea Ex Machina gehen wir Praktiken der Imagination, der Widerstände, des Wiederbelebens von unbewohnbaren Orten, dem Kollabieren und Kollektivieren mit anderen Arten und Spezies nach. Das Sich-Verwandt-Machen stellt das moderne Subjektverständnis und die Entität von Körper und Geist radikal in Frage und macht vielmehr Verbindung von Wesen, Pflanzen, Gestalten, Geistern, Monstern, Cyborgs auf, die wir im Hinblick auf das Theater weiterdenken möchten. Wie sind Verschränkungen mit nicht-humanen Gestalten, Wesen, Apparaturen, Pflanzen möglich? Können wir uns berühren, Nähe geben, Pläne schmieden?
Es geht um einen Zusammenfall der Zeiten, um eine Verflechtung von uns sterblichen Wesen mit unzähligen unfertigen Konfigurationen aus Orten, Zeiten, Materien, Bedeutungen, es geht um die Verbindung mit den Toten. Diejenigen, die diese Verbindungen aufnehmen können, sind die Hexen, die Monster und Medusen. Haraway bezeichnet sie als Art-Genoss*innen und ihre Fähigkeiten der Wiederbelebung als Kunst. Wir ziehen hier die Fäden: Ist eine Gestalt-Werdung überhaupt möglich? Wie kann Konturbildung, Imagination, Fantasie und Bezüge zur Übernatürlichkeit als ein Schwanken zwischen psychischer und materieller Anerkennung für theaterwissenschaftliches Denken spannend sein?
In einer kritischen Auseinandersetzung mit den dem anthropzänen Denken zugrundeliegenden normativen Ausschließungsmustern bei der Materialisation von Körpern und Gestalten, bei der Konstitution von Zeit und Raum, stellen wir uns in unserem Vortrag gemeinsam, aber niemals einig, der Aufgabe, inwiefern die Frage der Gestaltwerdung in einem Denken in Verwandlungen produktiv gemacht werden kann.

 

Shuntaro Yoshida

The Nuclear Threat and Ecological Dance: How Can Humans Sense Other Species’ Choreography? [English]

For over a decade, philosophers, environmental and social activists, artists, and scientists have urged us about Earth’s rapid deterioration. Non-human and human participation are essential for increasing the sphere of involvement in ecological dance within the context of climate change. In this presentation, I demonstrate how the recent increase in awareness of environmental issues has expanded the framework for considering areas of dance participation between humans and non-humans. In addition, recent social unrest has awakened my trauma of Fukushima. I would like to address the subject of nuclear power and the use of nuclear energy to question the control over natural threats that are impossible for humans to control.
This paper presents case studies of other species’ choreography in fear of the threat of nuclear; Eiko Otake’s Body in Fukushima and Half-Farm, Half-Art (Han-nō Han-gei) Project in Toride. These projects’ presence with the radiated landscape reframes human responsibility in the degradation of the environment. I analyze the work of Eiko Otake, whose lengthened mourning practice addresses the trauma of landscapes, and the Japanese Half-Farm, Half-Art approach, which has difficulties in guaranteeing their livelihoods after Fukushima’s triple disaster in 2011. Nuclear disasters result in ecological and biological concerns that enliven discussions about nuclear disasters, and they result in durational mourning and hunger due to the ongoing effects of the crisis. This threat shed light on thinking of different sustainability for the natural environment.

Inga Bendukat, Doktorandin der Theaterwissenschaft, Insitut für TFM Frankfurt am Main; Dramaturgin. Forschungsinteressen: queer/-feministische Theorie, Queerer Aktivismus, Identitätspolitik(en), Fragen der Alterität, Theorien der Gegenöffentlichkeiten, ben.inga@posteo.de

Eva Döhne, Doktorandin der Theaterwissenschaft, Insitut für TFM Frankfurt am Main, Dissertation: "Die (Un)darstellbarkeit der Frau im Theater der Gegenwart". Forschungsinteressen: Performancekunst, queer/-feministische Theorie, intersektionaler Feminismus, Gender- und Repräsentationsfragen, doehne@em.uni-frankfurt.de

Franziska Trapp, Post-Doc Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Forschungsschwerpunkte: Zeitgenössischer Zirkus, Non-Human Turn, Dramaturgie, Semiotik; Franziska.Trapp@fu-berlin.de

Dr. Shuntaro Yoshida, Visiting Scholar at Department of Performing Arts, UdK / Postdoctoral Research Fellow at the Faculty of Sport Sciences, Waseda University, Research interests: Ecological Performance, Landscape and Memory