Practices of Urgency

Donnerstag, 29.09.
13:30–15:00 Uhr

Kuratiertes Panel, Hörsaal 2

Moderation: die Beteiligten
Diese Veranstaltung wird auch gestreamt:
https://www.cedis.fu-berlin.de/services/medien/av-medien/livestream/gtw_2

Umdenken, Unterbrechen und De-zentrieren – Complaint als Practice of Urgency
Reparieren, Pflegen und Verschalten – Glitch Performance als Practice of Urgency
Vertrauen, Synchronisieren und Berühren – Praktiken des Sehbehindertensports als Practice of Urgency

Der Begriff der Dringlichkeit impliziert einen linearen Zeitverlauf: Etwas wurde in der Vergangenheit versäumt, erfordert nun dringende Zuwendung und soll in einer erhofften Zukunft eine Auflösung erfahren. Statt dringliche Themen lediglich zu diagnostizieren und ihnen nachzueilen, möchten wir stattdessen von Zeitlichkeit losgelöste Praktiken diskutieren und erproben. Der GTW-Kongress fordert eine Auseinandersetzung mit den Matters of Urgency, den dringenden Herausforderungen der Gegenwart in Theater und Wissenschaft. Ungewöhnlich hierbei ist, dass der Call primär Fragen an seine Mitglieder stellt und das eigene Selbstverständnis der Gesellschaft gemeinsam überprüfen will. Sind doch wissenschaftliches, kontemplatives Urteilen und dringliches Handeln womöglich selbst schon ein Widerspruch (Arendt 1958, Menke 2013)? Bedarf es nicht vielmehr Praktiken der (wissenschaftlichen und kritischen) Selbstreflexivität statt der (üblichen) Referenzialität? Denn die Matters of Urgency, also die Gegenstände und Thematiken, auf die sich Dringlichkeit richtet, scheinen sich stetig zu überschlagen. Anstatt sich mit ihnen zu beschäftigen, wollen wir die matter selbst als Praktik herausfordern, verstanden als „a temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings“ (Schatzki 2003, Husel 2014). Welche – den ephemeren Themenabschlag überdauernde – Praktiken bringen statt eines flüchtigen, hierarchisierenden Reagierens in wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung eine enthierarchisierende und radikale Praktik hervor? Diese Praktiken verstehen wir als eine Intervention, welche die lokalen und temporären Logiken der Dringlichkeit kritisch hinterfragen; als ein Tun, welches die Frage nach dem (austauschbaren) Was relativiert und das Wie in den Vordergrund rückt. Die zeitgenössische Theaterpraxis übt sich im Theater als safe(r) space, als Ort des Ent- und Verwerfens von transformativen und radikalen Praktiken (Sandahl 2003, Malzacher 2020). Ihre Impulse dienen uns als Analysegegenstand und Inspiration für Practices of Urgency, welche sich nicht durch das Sprechen über Formen der Zusammenarbeit oder über das Spiel der Performer*innen definieren, sondern Praktiken des Zusammendenkens, -sprechens und -handelns nearby versuchen (Minh-Ha 1992) und sensibel für das Wechselverhältnis von Performativität und Wissen sind (Haraway 2016). Am Beispiel der Arbeiten des queerfeministischen Kollektivs Swoosh Lieu, der Regisseurin Anta Helena Recke und am Beispiel der auf den ersten Blick theaterfernen Kommunikationsstrategien im paralympischen Sport wollen wir daher versuchen, die vorgefunden Praktiken des Beobachtens, des Vertrauens, des Reparierens, des Erholens und des Synchronisierens als Forschungspraktiken zu erproben.

Elena Backhausen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft & im SFB 1482 Humandifferenzierung Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Forschungsschwerpunkte: Disability Studies, Crip Theory, Performance Philosophy, Kritische Theorie, Performanz der Interdependenz, e.backhausen@uni-mainz.de

Yaël Koutouan, Mitarbeiterin im SFB 1482 Humandifferenzierung Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Forschungsschwerpunkte: kritische Phänomenologie als Aufführungsanalyse, critical race studies, (post)koloniale Aufführungspraxis und Theaterwissenschaft, yakoutou@uni-mainz.de

Yana Prinsloo, Mitarbeiterin/Praedoc am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft & im SFB 1482 Humandifferenzierung Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Forschungsschwerpunkte: Strukturen und Ästhetik(en) der Freien Szene, Theaterwissenschaft als sozialwissenschaftliche Differenzierungsforschung, Gender Studies, yprinsl@uni-mainz.de