In der Trias von Theatergeschichte, Inszenierungs- bzw. Aufführungsanalyse und Theatertheorie, welche nach Maßgabe großer Teile des Faches den Kern von Theaterwissenschaft ausmacht, ist die dritte heute in einer paradoxen Lage: Wie sollte eine Geschichte jeder Art geschrieben werden, wenn nicht auf der Basis einer Theorie? Wie sollte die Analyse eines Gegenstandes möglich sein, wenn ihr nicht dessen Theorie vorausginge? Doch muss die Theorie sich wiederum aus ästhetischer Erfahrung ableiten. Mit einem feuilletonistischen Bild könnte man sagen, dass die Theatertheorie gewissermaßen der Heilige Geist der Theaterwissenschaft ist: Ungreifbar, weil überall und nirgends.
Die Arbeitsgruppe “Theater und Theorie”, die sich im Oktober 2021 konstituiert hat, fragt danach, welche Rolle die Theorie – im Zuge einer vielerorts propagierten Rückkehr der geisteswissenschaftlichen Fächer zu ihren vermeintlichen historischen und philologischen Kernkompetenzen – in Zukunft in Studium, Lehre und Forschung der Theaterwissenschaft spielen wird und wie sie sich zu den aus ihr entstehenden Theatervorstellungen und -entwürfen verhält. In Absetzung von vergleichbaren Unternehmungen zum Verhältnis von Performance und Philosophie, zum Denken (auf) der Bühne oder den Methoden der Theaterwissenschaft geht die AG der Frage nach, was es heißt, sich in der Theaterwissenschaft mit Theorie zu beschäftigen: Wozu Theatertheorie? In welchem Verhältnis steht, was die Theorien ermöglichen, zu dem, was wir in unserer Forschung suchen und bearbeiten? Was lässt uns die Theorie suchen? Was leistet Widerstand, gegen sie, in ihr? Was verstellt sie?
In unserem Forum werden wir uns unter dem Titel „Enden der Theorie“ ausgehend von sechs kurzen fünfminütigen Impulsreferaten von Jörn Etzold, Gerald Siegmund, Nikolaus Müller-Schöll, Leonie Otto, Marten Weise und Julia Stenzel zunächst innerhalb der Arbeitsgruppe, dann im Austausch mit allen Anwesenden mit den bei der Gründung aufgeworfenen Fragen beschäftigen, um vor deren Hintergrund insbesondere jüngeren Phänomenen der Theoriefeindlichkeit nachzugehen.
Jörn Etzold, Professor am Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, derzeitige Schwerpunkte: Theater/Performance in postindustriellen Umwelten; Infrastruktur und Ästhetik, Theater und Rechtskritik, joern.etzold@rub.de
Nikolaus Müller-Schöll, Professor für Theaterwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main, derzeitige Schwerpunkte: Script-basiertes Theater, Politische Dramaturgie, Der eine und der andere Brecht, Theater der Potentialität, Mueller-Schoell@tfm.uni-frankfurt.de
Leonie Otto, wissenschaftliche Mitarbeiterin / PostDoc am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main; Forschungsschwerpunkte: Zeitgenössischer Tanz, Körpertheorien, Feminismus, otto@tfm.uni-frankfurt.de
Gerald Siegmund, Professor für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Forschungsschwerpunkte: Tanz, Theater und Ästhetik, Theater als Institution, Theater als Dispositiv, Gerald.Siegmund@theater.uni-giessen.de
Julia Stenzel, Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft am FTKM der JGU Mainz. Derzeitige Schwerpunkte: Theater und Religion in globaler Perspektive, Szenen von Repräsentation und Stellvertretung, Theater/Performance und Posturbanität, Transformationen vormoderner Theatralität.
Marten Weise, wissenschaftl. Mitarbeiter/Postdoc an den Instituten für Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Forschungsschwerpunkte: Grenzphänomene zwischen Literatur, Theater und Theorie; Spielformen und Theorien jenseits von Souveränität; Philosophien der Sprache; Fragen der Alterität; kritische Männlichkeitsforschung, weise@tfm.uni-frankfurt.de