Das Thema Gender ist (noch immer) ein Matter of Urgency in Theater und Wissenschaft. Zu diesem Schluss kam die GTW-Arbeitsgruppe Gender in ihrer Vorsondierung zum GTW-Call Matters of Urgency im Frühjahr 2022. Dieser Umstand mag zunächst erstaunen. Zumal in den letzten Jahren die Debatte über die Gleichstellung von Geschlechtern* eine immer breitere Öffentlichkeit findet, eine Institutions- und Kanonkritik etwa in Bezug auf die Leitungs-, Ensemble- und Ausbildungsstrukturen sowie Spielplangestaltung laut(er) wird und sich Theater insbesondere der Freien Szene spätestens seit der #MeToo-Debatte aus einer geschlechterpolitischen Perspektive dezidiert mit Themen von sexualisierter Gewalt- und Rassismuserfahrungen im Alltag und Beruf beschäftigen.
In der deutschsprachigen Theaterwissenschaft hingegen ist der Themenbereich Gender/Queer in Lehre und Forschung nach wie vor tendentiell unterrepräsentiert. Dieser Umstand überrascht aus mehreren Gründen: 1. Die Institutionen Theater/Universität scheinen immer noch Ästhetiken und Arbeiten von weißen, heterosexuellen cis-Männern zu bevorzugen, die in ihren Macht- und Exklusionsstrukturen dringend kritisch untersucht (und verändert) werden müssen. 2. Befragungen über Körper, Geschlechtlichkeit und Sexualität gehören zum immanenten Bestandteil des Bühnengeschehens, wenn dies auch nicht immer in gleicher Form explizit gemacht wird, und sollten selbstverständlicher Gegenstand von Forschung und Lehre sein. 3. Auch methodisch stellen Gender/Queer Studies für die Theaterwissenschaft einen Mehrwert dar. Sie werden bislang im Fach aber kaum wahrgenommen – in aktuellen einschlägigen Methodenwerken der Theaterwissenschaft fehlen feministische, queer- und geschlechterwissenschaftliche Ansätze.
Die folgenden Fragestellungen möchten die Teilnehmenden im Rahmen des Forums diskutieren: Wer spricht in Theater und Wissenschaft? Welche Stimmen und Positionen in Theater und Wissenschaft wurden in der Geschichte aktiv ausgeschlossen und werden in der Gegenwart ausgeklammert und/oder verdrängt? Wie schaffen es künstlerische und wissenschaftliche Institutionen machtvolle Positionen und Figuren (etwa das ‚männliche Genie‘) weiter zu tradieren und Kritik zu vereinnahmen? Welche Möglichkeiten der (kritischen) Aneignung und Veränderung gibt es? Wie verhalten sich Theoriebildung und gelebte Praxis zueinander? Wie können die Gender/Queer-Studies das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Aktivismus produktiv machen?
Rosemarie Brucher, Assistenzprofessorin/Vizerektorin für Forschung Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Forschungsschwerpunkte: Performance Art, Schauspieltheorien, Subjekt- und Identitätstheorien, Gender & Queer Studies, r.brucher@muk.ac.at
Miriam Dreysse, Verwaltung der Professur „Performance“ am Institut Performative Praxis, Kunst und Bildung der HBK Braunschweig, Forschungsschwerpunkte: Zeitgenössisches Theater und Performance, Gender und Queer Theory, Inszenierungen von Geschlechtsidentität in den darstellenden und performativen Künsten, m.dreysse@hbk-bs.de
Sima Ehrentraut, Research Assistant Transfer Area EXC "Temporal Communities" (Freie Universität Berlin), Forschungsschwerpunkte: Körpertheorien, Trans* Theorie, digitale Ästhetik, sima.ehrentraut@fu-berlin.de
Isabelle Haffter, wissenschaftl. Mitarbeiterin/Postdoc, Institut für Theaterwissenschaft, Universität Bern, Forschungsschwerpunkte: 19./20. Jh., Wissen(schafts)geschichte, Theatergeschichte, Geschichte sozialer Bewegungen und Migration, Geschlechtergeschichte, isabelle.haffter@unibe.ch
Lea-Sophie Schiel, Performance-Künstlerin und promovierte Theaterwissenschaftlerin, Forschungsschwerpunkte: Porn Studies, Kollektives Schreiben, leasophie.schiel@gmail.com
Jenny Schrödl, Juniorprofessorin am Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Forschungsschwerpunkte: Gender, Queer und Diversity Studies, Ästhetiken und Politiken des freien Theaters, Ästhetik, Theorie und Geschichte des Gegenwartstheaters und der Performancekunst, j.schroedl@fu-berlin.de
Eike Wittrock, Senior Scientist, Zentrum für Genderforschung und Diversität, Kunstuniversität Graz, Forschungsschwerpunkte: Queere Tanz- und Theatergeschichte, eike.wittrock@kug.ac.at
Andrea Zimmermann, wissenschaftl. Mitarbeiter/senior researcher, Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern, Forschungsschwerpunkte: Geschlechtertheorie, queer-feministische Kritik im Theater der Gegenwart, Männlichkeit(en), Gleichstellung im Kulturbetrieb, andreamaria.zimmermann@unibas.ch