Das Panel widmet sich der Diskussion eines neuralgischen Punktes im methodologischen Selbstverständnis zeitgenössischer Theaterwissenschaft. So stellt die Verhandlung von sozialen und gesellschaftspolitischen Themen in und jenseits von Theateraufführungen wohl eines der dringendsten Forschungsdesiderate dar, doch wie diese Untersuchung zu geschehen habe, steht zur Disposition, ebenso die Abgrenzung des Gegenstandes unserer Disziplin: Inwiefern können aufführungsanalytische Erkenntnisse noch verallgemeinert werden, wenn wir ‚den Zuschauer‘ als neutrale, unmarkierte Instanz längst verabschiedet haben? Sind Aufführungen weiterhin das Hauptinteresse theaterwissenschaftlicher Forschung? Kann ‚das Ästhetische‘ mithin überhaupt noch als zentrale Legitimation unserer Untersuchungen dienen? Und welcher methodischen Ergänzungen bedarf es, um die den Repräsentationsverhältnissen auf der Bühne zugrunde liegenden Strukturen zu erforschen? Wir möchten entsprechend das Spannungsverhältnis von ästhetischen und sozialen wie institutionellen Aspekten und mögliche Zugriffsweisen darauf in den Mittelpunkt der Debatte rücken und hierfür vier ebenso prägnante wie unterschiedliche Positionen aus dem Umfeld der Mainzer Differenzierungsforschung vorstellen, wie sie sich derzeit im 2021 neu eingerichteten SFB „Humandifferenzierung“ etabliert.
Hanna Voss reflektiert in ihrem Beitrag anhand der Situation des Vorsprechens, wie aufführungsanalytische und ethnographische Verfahrensweisen produktiv ineinandergreifen können; hierbei plädiert sie für eine Annäherung auf methodologischer Ebene sowie eine Betonung der jeweiligen Potentiale statt einer Verwischung der Grenzen. Stefanie Husel hinterfragt die theoretischen Bedingungen einer praxeologischen Methodologie jenseits der Aufführungsanalyse: Welche Blickrichtung und Vorgehensweisen können dabei helfen, eine theoretische Auratisierung der Aufführungssituation zu durchbrechen? Benjamin Wihstutz befasst sich mit der Frage, wann, wie und auf welche Weise eine identitätsbezogene Positionierung in der wissenschaftlichen Praxis relevant und sinnvoll sein kann; hierbei wird er seine Position als nichtbehinderter Wissenschaftler im Kontext des SFB-Teilprojekts „Disability Performance als Humandifferenzierung“ exemplarisch erörtern. Friedemann Kreuder berichtet aus dem Projekt „Staging Differences – Interferenzen von Teilnehmerrollen und Humandifferenzierungen im Gegenwartstheater“, das sich der Verschränkung ästhetischer und sozialer Praktiken widmet.
Stefanie Husel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am FTMK der JGU Mainz, Fachbereich Theaterwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Theaterwissenschaft als Praxisforschung, Methodologie der Theaterwissenschaft, Spieltheorien, Kulturgeschichte des Spiels, Postdramatisches Theater, Soziologische Theatermodelle, husel@uni-mainz.de
Friedemann Kreuder, Professor für Theaterwissenschaft am FTMK der JGU Mainz, Forschungsschwerpunkte: Theater Richard Wagners, Geistliches Spiel des Mittelalters, Theater der Frühen Neuzeit und des 18. Jahrhunderts, Gegenwartstheater, Theaterwissenschaft als sozialwissenschaftliche Differenzierungsforschung, fkreuder@uni-mainz.de
Hanna Voss, wissenschaftliche Mitarbeiterin am FTMK der JGU Mainz, Fachbereich Theaterwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Theaterwissenschaft als sozialwissenschaftliche Differenzierungsforschung, Theater und Ethnizität, Sprechtheater als Institution, Aufführungsanalyse und Ethnographie als Methoden der Theaterwissenschaft, Institutions- und Organisationstheorie, voss@uni-mainz.de
Benjamin Wihstutz, Jun.-Prof für Theaterwissenschaft am FTMK der JGU Mainz, Forschungsschwerpunkte: Gegenwartstheater, Performance Studies, Disability Studies, Ästhetische Theorie, Raumtheorie, Geschichte des Publikums seit 1800, Populärkultur um 1900, Entgrenzung der Künste seit den 1950er Jahren, wihstutz@uni-mainz.de