Present uncertain certainties – Theater, Geschichte, Identität seit dem 18. Jahrhundert

Freitag, 30.09.
11:00–12:30 Uhr

Forum, Seminarzentrum Raum L115

Moderation: Ingo Rekatzky


Angesichts virulenter Erfahrungen politischer wie kultureller Krisen stellt sich die dringliche Frage, inwiefern eine Auseinandersetzung mit vermeintlich gesicherten historischen Prozessen zu einer kritischen (Selbst-)Reflexion der eigenen Gegenwärtigkeit beitragen kann. Anknüpfend an Reinhart Koselleck, dass im 18. Jahrhundert die Probleme beginnen, mit denen wir uns auch heute noch auseinandersetzen müssen, untersucht der Forumsbeitrag grundlegende wie ambivalente politische, soziokulturelle und nicht zuletzt anthropologisch-philosophische Neuordnungen ,des’ Wissens über ,den’ Menschen im Kontext bürgerlich vereindeutigender Reformen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Aus transdisziplinärer Perspektive einer akteurbezogenen historischen Anthropologie werden Schlaglichter auf theaterwissenschaftlich bisher kaum beachtete Schauplätze geworfen. An diesen lässt sich eine enge wie folgenreiche Verzahnung von theatralen Praktiken und wirkungsmächtigen, gleichzeitig widersprüchlichen soziokulturellen Diskursen ablesen. Dazu betrachten die Beiträge den Konvergenzvorgang von (Universal-)Geschichte und (National-)Theater sowie beider identitätspolitischer ,Leistungsauftrag‘ ebenso wie die funktionalisierende (Neu-)Konzeption von Theater entlang medizin- wie ordnungspolitischer Diskurse. Hieran anknüpfend werden die unterschiedlichen Praktiken und Strategien der theatral-artifiziellen Konstitution des prekären bürgerlichen Selbst fokussiert sowie dessen Abgrenzung zum ,Fremden’ und zum ,Anderen’, nicht zuletzt in der lebensweltlichen Repräsentation. Der Forumsbeitrag begibt sich auf Spurensuche nach den komplexen wie uneindeutigen theatralen Praktiken und Diskursen, die im Zeitalter der Singularisierungen nicht unerheblich zur Neudefinition von ,Identität’, ,Wahrheit’ und ,Natur’ beigetragen haben – so wie sie auch gegenwärtig weithin unhinterfragt als Narrative in einer diversen Gesellschaft nachwirken. Die Revision gängigen Wissens über das vermeintlich Bekannte und eine damit einhergehende kritisch historisierende (Selbst-)Reflexion des scheinbar Gesicherten im Hier und Jetzt werfen die Frage auf, inwiefern Themenfelder, Methoden und Theorien der Theatergeschichtsforschung zur dringlichen Profilierung einer gegenwartsbezogenen Theaterwissenschaft beitragen können.

Claudius Baisch: theater // geschichte // machen. Zum Verhältnis von Geschichte und Theater

Anna Maria Beck: An den Grenzen von Vernunft und Gesundheit. Konstellationen von Theater und Medizin

Torben Schleiner: Bürgerlich auftreten. Von der theatralen Genese eines ,natürlichen‘ Habitus

Estrella Jurado: Täuschend echte Menschen-Bilder: Zur Herausbildung eines bürgerlichen Theaterkostüms

Claudius Baisch, wissenschaftliche Hilfskraft am Centre of Competence for Theatre an der Universität Leipzig, Forschungsschwerpunkte: Relationen von Geschichtsphilosophie und Theater, (Amateurtheater-)Geschichte, transkulturelle Theaterarbeiten mit nichtprofessionellen Spieler:innen, claudius.baisch@uni-leipzig.de

Anna Maria Beck, Master-Absolventin im Studiengang Theaterwissenschaft transkulturell an der Universität Leipzig, Forschungsschwerpunkte: Verbindung von Theater- und Medizingeschichte bzw. Spielen/Theater und Heilen, Themenfelder der akteurbezogenen historischen Anthropologie, anna_maria.beck@uni-leipzig.de

Estrella Jurado, Kostüm- und Bühnenbildnerin für Theater und Tanz, Masterstudium der Theaterwissenschaft transkulturell an der Universität Leipzig, Forschungsschwerpunkte: akteurbezogene historische Anthropologie, Konstitution des Theaterkostüms im 18. Jahrhundert, estrella.jurado@uni-leipzig.de

Ingo Rekatzky, Jun.-Prof. am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig, Forschungsschwerpunkte: Theatergeschichte aus gegenwärtiger Perspektive, akteurbezogene historische Anthropologie, Masken/Praktiken aus transkultureller Perspektive, historisches und zeitgenössisches Musiktheater, rekatzky@uni-leipzig.de

Torben Schleiner, Doktorand und Lehrbeauftragter am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig, Forschungsschwerpunkte: Theater- und Tanzkulturen und Subjektkonstitution, Musiktheater aus postkolonialer Perspektive, torben.schleiner@uni-leipzig.de