Didaktische Überlegungen scheinen im Fachgebiet Theaterwissenschaft, aber auch in anderen Disziplinen, traditionell eher ein „Matter of Neglect“ denn ein „Matter of Urgency“ zu sein. Zu selbstvergessen haben sich Theaterwissenschaftler*innen in den vergangenen Jahren auf die Relevanz bzw. Attraktivität ihres Gegenstands berufen oder sich auf den universitär etablierten Konsens über die Bedeutung des wissenschaftlichen Diskurses im Hörsaal verlassen – in der (berechtigten) Hoffnung, Studierende der Theaterwissenschaft nicht nur für das Fach und seine Gegenstände zu begeistern, sondern auch zu selbstständigem, kritisch-reflektiertem Denken in Zeiten eines institutionellen Wandels von Theatereinrichtungen zu befähigen.
Die durch die Corona-Pandemie erforderliche Umstellung auf digitale Lehre und Lehrformate zum Sommersemester 2020 hat solche und ähnliche Gewissheiten von einem auf den anderen Tag ins Wanken gebracht: Theaterbesuche vor Ort waren nicht mehr möglich, die „Konserve“ wurde zum didaktisch-hilflosen Rettungsanker. Traditionell eher mitteilsame Studierende der Theaterwissenschaft verstummten vor ihren Laptops oder verweigerten sich den Prinzipien der „théa“, indem Kameras gar nicht erst eingeschaltet wurden. Dozierende versuchten sich an der Übertragung von Altbewährtem in den digitalen Raum oder erprobten ambitioniert neue Techniken und Präsentationsweisen und scheiterten dennoch nicht selten daran, überhaupt einen gelingenden Kontakt zu den Studierenden aufzubauen. Auch nach einer Rückkehr in die Präsenzlehre werden uns die Fragen nach einer adäquaten Vermittlung von Theater/Wissenschaft im universitären Kontext und nach den Konsequenzen aus den primär digital durchgeführten Semestern noch länger begleiten: Welche Lehr-Lern-Szenarien lassen sich mit Blick auf unseren Gegenstand und die angrenzenden Forschungsfelder produktiv machen und wo/wie positioniert sich theaterwissenschaftliche Forschung und Lehre zwischen anderen, deutlich dringlicher erscheinenden Themenfeldern? Welche Impulse können aus der szenischen Praxis selbst oder einem selbstreflexiven Artikulieren von Ungewissheiten kommen, wie es z.B. das belgische Kollektiv Ontroerend Goed dem Publikum in der Performance „Every word was once an animal“ zumutet? Wie können Universitäten das Vertrauen ihrer Studierenden zurückgewinnen und – last but not least – was sagen die Studierenden eigentlich dazu?
Zu mir: Ich bin ziemlich kritisch unterwegs, habe einen Hang zum Antinormativen, manchmal auch zum Antisozialen und finde das Konzept der Negativität richtig sexy. Ich mag Performance und Theater. Daher bin ich dort oft anzutreffen, gerne auch außerhalb konventioneller Theaterinstitutionen, manchmal in Bars oder kleinen Clubs. Instagram und andere soziale Medien habe ich in letzter Zeit auch für mich entdeckt. Obwohl ich schon einige Jahre in diesem Gebiet unterwegs bin und mich in verschiedenen performativen Konstellationen zeige, habe ich noch nicht so wirklich Anschluss in der theaterwissenschaftlichen Community gefunden. Nun möchte ich diese Anzeige nutzen, um Gleichgesinnte zu treffen. Was ich suche: Ihr solltet ebenfalls kritisch sein und eine Verbundenheit zu postkolonialer und dekolonialer Theorie haben. Transnationale Ansätze und deren Intimität finde ich hot, Universalisierungstendenzen turnen mich eher ab. Meldet euch!
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Queer-feministische Methoden sind in der Theaterwissenschaft nach wie vor eher marginalisiert vorzufinden. Theaterwissenschaftliche Arbeitsbücher der letzten Jahre haben keine queer-feministischen Methoden, Ansätze oder Herangehensweisen ausgeführt. Dies verwundert insofern, da das Fach seit den 1980er Jahren von feministischer Forschung und mit Aufkommen der Queer Theory auch von deren Inhalten geprägt ist.
Jack Halberstams Low Theory gibt einen Anhaltspunkt für ein Überdenken der Verwobenheit von Wissensgenerierung und Methode mit der Hinwendung zu kontraintuitiven Formen des Wissens, die gegen Souveränität und Mastery gerichtet sind. Ansätze von schwacher Theorie, wie bspw. bei Eve Sedgewick, verweisen auf die Grenzen einer bestimmten Weise der Kritik, die aufdecken und entlarven will. Roderick Ferguson wiederum argumentiert in seiner queer of Color Analyse, wie wichtig eine Disidentifizierung mit dem Erbe des historischen Materialismus ist, um nicht die Einschränkungen rassifizierter, heteropatriachaler Theorieproduktion zu wiederholen. Und Sara Ahmeds queere Phänomenologie hebt die Notwendigkeit von Desorientierungen hervor und streicht die vermeintliche Neutralität der philosophischen Phänomenologie durch.
Auf der Grundlage dieses Wissens möchte mein Beitrag auf die Dringlichkeit einer Methodenreflexion in der Theaterwissenschaft im Hinblick auf Ansätze aus der Queer Theory verweisen und zu einer Diskussion anregen.
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In meinem Beitrag möchte ich mich mit der Wissensproduktion und den Auswahl-/ Ausschlusskriterien von Vorlesungs-/Seminarlektüren während des Studiums der Theaterwissenschaft beschäftigen. Im Fokus meiner Überlegungen steht dabei Performancekunst und Theater aus Mittel-Süd-Osteuropa, insbesondere aus Polen, die meines Erachtens während des Studiums kaum Würdigung und Reflexion erfährt. Obwohl Deutschland und Polen Nachbarländer sind, entstehen auf der theaterwissenschaftlichen Ebene fast keine Projekte bezüglich des polnischen Theaters und der Performance-Kunst und es werden kaum Seminare/Übungen/Vorlesungen zu diesem Thema angeboten. Warum wird die Theaterwissenschaft in den Kategorien „West“ und „Ost“ immer noch so stark differenziert? Weshalb ist ausschließlich westlich-angloamerikanische Narration so dominant und präsent, während die mittel-süd-osteuropäische nicht nur marginalisiert, sondern sogar oft falsch dargestellt und missverstanden wird? Diese nur bruchstückhafte Narration liefert eine fehlerhafte Darstellung der Theater- und Performancekunstgeschichte in Europa, was allerdings nicht infrage gestellt oder neu reflektiert wird.
In den Einführungskursen werden über Jahre hinweg die gleichen Bücher/ Texte diskutiert, die als elementarer Bestandteil der Theaterwissenschaft gelten. In einigen von ihnen werden Performance-Kunst aus Mittel-Süd-Osteuropa allerdings gar nicht oder nur randständig und falsch thematisiert (RoseLee Goldberg; Elisabeth Jappe). Diese künstliche geographische Zäsur von „West versus Ost“ spiegelt sich in vielen theaterwissenschaftlichen Büchern wider, die eine horizontale Narration der Performancekunstgeschichte vertreten, die vom Zentrum (anglo-amerikanischer und westlicher Raum) ausgeht und Mittel-Süd-Osteuropa als Peripherie betrachtet. Sollte nicht dringend diese Perspektive aufgehoben, verschoben und andere, weiterführende Lektüren als bisher in Kurse einbezogen werden? So soll es Ziel dieses Beitrages sein, auf diesem Gebiet einen bisher nicht genug berücksichtigen Punkt einzubringen und den Versuch vorzunehmen, eine globale Performancekunst- /Theatergeschichte zu beschreiben.
Im Kongress-Call wird – u.a. mit Verweis auf die Pandemie – nach „Relevanz und Rolle im gesellschaftlichen Diskurs und Miteinander“ auch der theaterwissenschaftlichen Forschung gefragt. Es gibt in der Tat kein back to normal: Die Auswirkungen der Klimakrise, inzwischen auch der ausgeweitete russische Angriffskrieg, der das Ideal eines solidarischen Pazifismus und die Energieversorgung (von Getreide bis Gas) unmittelbar als Schwierigkeit darstellt, erfordern beständig neue Entscheidungen und Handlungen. Theaterwissenschaftliche Forschung hat es hier mit (medialen) politischen Inszenierungen oder mit künstlerischem Aktivismus (etwa für mehr Klimagerechtigkeit) zu tun – das wäre die pragmatische Sicht, die als Reaktion lediglich nach neuen Themen sucht.
Aber die Frage kann grundsätzlicher gestellt werden: (1) Müssen theater- oder geisteswissenschaftliche Forschungsgegenstände „gesellschaftliche Relevanz“ (die häufig mit Aktualität verbunden wird) beweisen – und wie könnten sie das überhaupt, welche Instanz würde hier mit welcher Deutungshoheit entscheiden? (2) Wie wichtig wird die Frage der eigenen Haltung und – ‚practise what you preach’ – Arbeitspraxis? Im Call scheint die Notwendigkeit der institutionellen Selbstreflexion fraglos: Wie könne sonst die eigene, etwa machtkritische bzw. engagierte Forschung legitimiert und glaubhaft werden, ohne die eigene Teilhabe oder Verstrickung an/in die problematisierten Zustände mitzudenken (und diese umzugestalten)?
Beide Fragen erscheinen als Aufgabenstellungen, mit denen die öffentlich finanzierte Institution Stadttheater bereits seit Jahrzehnten beschäftigt ist: Es gilt dort, wieder und wieder zu belegen, (1) welchen Nutzen „das Theater“ (für wen) haben kann (da es kostet) und (2) inwiefern kritische und emanzipatorische Haltungen, die öffentlich – durch die künstlerische Arbeit sowie die begleitenden Diskurse – kommuniziert werden, übereinstimmen mit den tatsächlichen Strukturen, Standards und Praktiken der Produktion?
Am Beispiel öffentlicher Theater soll aufgezeigt werden, wie es zum „Ruckeln“ innerhalb eines scheinbar stabilen Gefüges kommen kann und „Dringlichkeit“ bis hin zu direktem Handlungs- und organisationalem Transformationsdruck wahrgenommen wird. Sich als engagiert verstehende Theaterschaffende haben, so die These, gegenüber den die akademische Freiheit gewohnten Theaterwissenschaftler*innen einen gewissen Vorsprung im institutionskritischen Nachdenken – auch über eventuelle eigene aktivistische Sehnsüchte.
Malwina Miziarska, Tutorin, Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Forschungsschwerpunkte: Performance- und Aktionskunst in Mittel-, Südosteuropa, Theater und Archiv, Gender/Feminist/Queer Studies, Zensur, m.miziarska@fu-berlin.de
Karina Rocktäschel, wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 1171 Affective Societies der Freien Universität Berlin, Forschungsschwerpunkte: Queerfeministische Theorie & Performance, Theaterwissenschaftliche Methoden, Undoing Mastery, Immersion, Technologie & Performance, karina.rocktaeschel@fu-berlin.de
Dr. Constanze Schuler, Akademische Oberrätin, Institut für Film-, Theater-, Medien und Kulturwissenschaft (FTMK), Arbeitsbereich Theaterwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Interferenzen von Theater, Raum und Ritual; Ästhetik des Künstlichen und Artifiziellen in den szenischen Künsten; Inszenierungsstrategien in Oper und Musiktheater; Theaterhistoriografie, coschul@uni-mainz.de
Anna Volkland, Dramaturgin und Doktorandin an der Universität der Künste Berlin, Forschungsschwerpunkte: Institutionskritik, Stadttheatergeschichte (BRD, DDR), Theater als kollektive Arbeit, Raumpolitiken/Aufführungsformate, anna.volkland@gmx.de